Helmut Krethe Private Homepage

I.

Ist es Ihnen auch aufgefallen, was sich in den letzten Wochen zugetragen hat: im September 2019 trennt sich die hessische Filmförderung von ihrem Chef Hans-J. Mendig, nachdem er mit dem Vorsitzenden der AfD, Meuthen, zu Mittag gegessen hatte. Im Oktober 2019 wird der AfD-Gründer Bernd Lucke daran gehindert, seine Vorlesungen an der Universität Hamburg zu halten. Er wird von Studenten niedergebrüllt. Im gleichen Monat blockieren Aktivisten in Göttingen die Buchlesung des CDU-Politikers Thomas de Maiziere. Ebenfalls im Oktober 2019 kommt es in Berlin zu mehreren Angriffen auf Büros von CDU- und SPD-Politikern. Auch öffentliche Auftritte von Thilo Sarrazin

wurden in der Vergangenheit gestört. Im Oktober 2017 wurde ein Vortrag des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, aus Angst vor Krawall linker Gruppierungen in Frankfurt abgesagt.

II.

Wenn Menschen, deren Meinung mir nicht passt, mundtot gemacht werden, naht das Ende der zivilen Gesellschaft.

Die Meinungsfreiheit ist ein wesentlicher Bestandteil unserer freiheitlichen-demokratischen Grundordnung. Sie gehört zu den Kommunikationsgrundrechten in Art. 5 Grundgesetz (GG).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Meinungsfreiheit in Art. 5 I 1 1. Var. GG als das vornehmste Menschenrecht überhaupt bezeichnet (BVerfGE 7, 198/208). Schon in der niemals in Kraft getretenen Paulskirchenverfassung vom 28.3.1849 wurde die Meinungsfreiheit in §143 postuliert. Sie ist auch zu finden in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Eine Meinung liegt vor, wenn ein Werturteil abgegeben wird. Eine Meinung kennzeichnet sich durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Meinung richtig oder falsch ist.

Eine Meinungsfreiheit stellt eine geschützte Verhaltensweise dar, nämlich die geistige Auseinandersetzung. Sie dient der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen. Als geschützte Modalitäten nennt Art. 5 I 1 GG die Äußerung und Verbreitung von Meinungen in Wort, Schrift und Bild.

Die Grundrechte sind zunächst Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat und sollen den Freiheitsbereich des Bürgers gegen staatliche Eingriffe schützen.

Bei den genannten Beispielen der Grundrechtsbeeinträchtigung der Meinungsfreiheit von Politikern ist es nicht der Staat als juristische Person, der für diese Störungen verantwortlich zeichnet, sondern es sind Zivilpersonen (z.B. Studenten oder andere Personen).

Es stellt sich die Frage, wie dem zu begegnen ist.

Die Meinungsfreiheit, wie auch die anderen Grundrechte, begründet als objektive Wertordnung auch staatliche Schutzpflichten. Demnach ist der Staat aufgerufen sich schützend und fördernd vor die Meinungsfreiheit zu stellen und den/die Bürger Schutz vor Beeinträchtigungen, auch durch andere Bürger, zu gewähren. Eine solche Grundrechtsfunktion der staatlichen Schutzpflicht ergibt sich aus Art. 1 I 2 GG, die sich nicht nur auf die Menschenwürde beschränkt. Die Rechtsprechung geht in einer Verfassungsinterpretation davon aus, dass die staatliche Schutzpflicht zugunsten jedes in einem Freiheitsgrundrecht garantierten Rechtes obliegt.

Art und Umfang der gebotenen Schutzpflicht unterliegt einem weiten Gestaltungsspielraum. Demnach muss der Staat Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts treffen, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind.

Die Universitätsleitung als eine staatliche Institution muss z.B. im Zusammenhang mit Polizeikräften darauf hinwirken, dass Professoren bzw. eingeladene Politiker oder Autoren einen ungestörten Zugang zum Veranstaltungsraum bekommen. Wie allerdings gegen dauernd brüllende Personen im Veranstaltungsraum vorgegangen werden kann, ist problematisch. Eine Möglichkeit wäre diese Störer mit Polizeikräften mittels eines Platzverweises aus dem Veranstaltungsraum zu entfernen. In einem kleineren Raum wäre eine solche Maßnahme geeignet. Ob dies auch in einem Hörsaal geeignet wäre bzw. welche Alternativmaßnahmen geeignet wären, muss vor Ort entschieden werden.

Für die Zukunft muss etwas gegen die latente Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit unternommen werden. Das sollte damit beginnen, dass Hasskommentare in sozialen Medien strafbewehrt werden. Hasskommentare nehmen überhand und sind der Keim von Störungshandlungen wie wir sie jetzt beobachten.

Susanne Gaschke in „Null Toleranz“ (WELT am SONNTAG, 27.10.19, S. 18): „Die Verteidigung der Meinungsfreiheit ist für Deutschland aus historischen Gründen existenziell. In diesem Land war das Mundtotmachen politischer „Feinde“ der Anfang vom Ende einer zivilisierten Gesellschaft. Der Absturz in die Barbarei beginnt nicht erst mit politischem Mäkeln an Repräsentanten des demokratischen Systems, mit Anschlägen auf Synagogen oder Abgeordnetenbüros… Er beginnt mit der Weigerung zuzuhören und zu antworten, sich inhaltlich mit Argumenten auseinanderzusetzen und zu akzeptieren, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Meinungen vertreten.“

Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.
Voltaire (1694 – 1778)

 

Helmut Krethe, 27.10.2019