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I. Sachverhalt

Dr. Robert Seegmüller (Vorsitzender des Bundes der Verwaltungsrichter) hat in einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT am 7.5.2020 (S. 5) die Möglichkeit angedeutet, dass die behördliche Anordnung, Personen, die aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, sich für 14 Tage in häusliche Quarantäne zu begeben haben, ein Verstoß gegen Art. 104 II Grundgesetz (GG) darstellen könnte. Das Quarantänegebot sei eine Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 104 II GG und bedarf einer vorherigen richterlichen Anordnung.

II. Schutzbereich

Art. 2 II 2 GG, Art. 104 GG ist ein Jedermann-Grundrecht, d.h. es sind alle natürlichen Personen geschützt (persönlicher Schutzbereich).

 

Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 II 2 GG, Art. 104 GG umfasst lediglich die körperliche Fortbewegungsfreiheit. Daraus folgt das Recht, jeden beliebigen Ort aufzusuchen bzw. einen bestimmten Ort wieder verlassen zu dürfen. Es umfasst auch das Recht jeden beliebigen Ort zu meiden.

Art. 2 II 2 GG ist nicht nur ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, sondern beinhaltet auch eine Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Bürger.

III. Eingriff

Ein Eingriff in die Freiheit der Person ist immer dann anzunehmen, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Aufgrund des in Art. 104 II GG geregelten Richtervorbehalts ist eine weitere Differenzierung dahingehend notwendig, ob es sich bei der Beeinträchtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit um eine Freiheitsentziehung oder um eine sonstige Freiheitsbeeinträchtigung handelt. Dies geschieht im Wege der Gesamtbetrachtung.

Eine Freiheitsbeschränkung enthält ein Verbot oder ein Gebot, z.B. das Verbot für Jugendliche Gaststätten zu betreten oder zu besuchen oder aber bestimmte Orte zu verlassen (Platzverweis).

Eine Freiheitsentziehung stellt das Festhalten an einem eng umgrenzten Ort dar (z.B. Haftraum). Der eindeutigste Fall von Freiheitsentziehung ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bzw. die Anordnung einer Untersuchungshaft oder der polizeirechtliche Gewahrsam.

Für die Annahme einer Freiheitsentziehung lässt sich zum einen auf den Ort abzustellen, wobei also an das Festhalten bzw. das Einsperren an einem bestimmten Ort angeknüpft wird, oder aber an die Dauer der Maßnahme. Ein Quarantänegebot von 14 Tagen stellt zunächst eine Freiheitsentziehung dar. Das Bundesverfassungsgericht definiert das so: Freiheitsentziehung ist jede vollständige Beschränkung der Bewegungsfreiheit über einen längeren Zeitraum. Eine Fortbewegungseinschränkung von ein bis drei Stunden gilt bereits als Freiheitsentziehung.

IV. Rechtfertigung

1. Schranke

Gemäß § 2 II 3 GG darf in das Grundrecht aus Art. 2 II 2 GG aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Das Grundrecht steht somit unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Es wird also ein Parlamentsgesetz (hier das Infektionsschutzgesetz) vorausgesetzt.

Für Eingriffe in die Freiheit der Person stellt Art. 104 GG besondere Anforderungen an die Grundrechtsschranke. Gem. Art. 104 I GG ist die Beschränkung der Freiheit nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes möglich.

Im Falle der Freiheitsentziehung stellt Art. 104 II GG besondere Anforderungen an die Grundrechtsschranke. Verlangt wird hier ein sogenannter Richtervorbehalt, also eine Entscheidung eines Richters über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung.

2. Schranken-Schranke

Damit das einschränkende Gesetz verfassungsmäßig ist, muss es die Schranken-Schranke beachten. Als Schranken-Schranke wirkt insbesondere der Richtervorbehalt. Eine absolute Schranken-Schranke bildet darüber hinaus auch Art. 19 II GG, also der Wesensgehalt des Grundrechts.

Die Coronakrise ist eine schwere Gesundheitskrise. Solch eine Gefährdung für Leib und Leben hat die Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen nie gekannt.

Eingriffsgrundlage für eine 14tägige häusliche Quarantäne für Rückkehrer aus dem Ausland bildet das Infektionsschutzgesetz. Dies stellt eine Freiheitsentziehung dar.

Fraglich ist, ob eine solche Freiheitsentziehung differenziert zu Art. 104 GG zu betrachten ist.

Nach der teleologischen Auslegung betrifft Art. 104 GG Untersuchungs- und Strafhäftlinge und Personen, die aufgrund einer geistigen Erkrankung in einem Fachkrankenhaus untergebracht werden sollen.

Die häusliche Quarantäneanordnung hat ausschließlich medizinische Gründe. Mittels einer 14tägigen Quarantäne sollen mögliche Infektionsketten getrennt werden. Eine solche Maßnahme verfolgt das legitime Ziel, keine anderen Menschen mit dem Coronavirus anzustecken, die selbst wiederum das Virus weiterverbreiten können. Dies ergibt sich auch aus der Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern.

Im Übrigen ist eine solche Maßnahme per se auch geeignet, erforderlich und angemessen (auf eine weiterführende Begründung wird hier verzichtet).

Der Wesensgehalt des Grundrechts ist gewahrt, da die Freiheitsentziehung nach Ablauf der medizinisch-indizierten Quarantäne unverzüglich aufzuheben ist.

Nach diesseitiger Ansicht handelt es sich bei einer 14tägigen häuslichen Quarantäne nach Rückkehr aus dem Ausland um eine Freiheitsentziehung sui generis.

Diese angeordnete bzw. anzuordnende Freiheitsentziehung ausschließlich aus medizinischen Gründen zur Gefahrenabwehr anderer Personen bedarf keines Richtervorbehalts.

Ein Verstoß gegen Art. 104 II GG wird hier nicht gesehen.

HK   7.5.2020